Wir schreiben das Jahr 1986. Es gibt noch keinen Rundfunkstaatsvertrag, der die von ARD und ZDF verbreiteten Fernsehprogramme im Einzelnen festlegt. Rechtsgrundlagen der ARD-Anstalten sind nur die Landesrundfunkgesetze und das Länderabkommen über die Koordinierung des Ersten Fernsehprogramms von 1959.
Seit 1983 plante die ARD, ein zusätzliches Gemeinschaftsfernsehprogramm über Satellit zu verbreiten: das Kulturprogramm EinsPlus. Die Verwaltungsvereinbarung darüber hatten die neun Landesrundfunkanstalten im Februar 1986 unterschrieben und einen Vertrag mit der Bundespost über die erforderliche Satellitenkapazität abgeschlossen. Der Start des Programms sollte am 29. März 1986 erfolgen. Das ZDF verbreitete damals bereits sein neues Programm 3-SAT über Satellit. Beide Programme wurden zunächst als Versuchsprogramme bezeichnet.
Sowohl das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus als auch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg beanstandeten mit für sofort vollziehbar erklärten Bescheiden von Mitte März 1986 den Plan der ARD. Sie forderten den BR bzw. den SWF (heute SWR, Anm. d. Red.) auf, ihn aufzugeben und die Verwaltungsvereinbarung aufzuheben. Für die Veranstaltung von EinsPlus fehle die Rechtsgrundlage. Außerdem würde durch das Programm eine Zuschauerbindung erzeugt und damit würden die Startchancen künftiger privater Programmanbieter gemindert. Das Programm sei erst dann zulässig, wenn eine gesetzliche oder staatsvertragliche Rechtsgrundlage bestehe.
BR und SWF bestritten diese Rechtsauffassung, verwiesen auf ihre durch Art. 5 GG geschützte Rundfunkfreiheit und reichten Klage bei den Verwaltungsgerichten in Bayern und Baden-Württemberg mit dem Antrag ein, die Bescheide aufzuheben. Zugleich beantragten sie, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen anzuordnen.
Sowohl die erst- als auch die zweitinstanzlichen Verwaltungsgerichte Bayerns und Baden-Württembergs gaben dem BR und dem SWR recht und stellten die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen wieder her. Zur Begründung führten sie aus: Die rechtlich für die Entscheidung, sich an EinsPlus zu beteiligen, zuständigen Gremien von BR und SWR hätten dem Programm zugestimmt, dagegen sei rechtlich nichts einzuwenden.
Die Frage, ob die Landesrundfunkanstalten für das neue Programm einer gesonderten staatsvertraglichen Grundlage bedürfen, sei bislang umstritten und ungeklärt. Jedenfalls stehe die Rechtsauffassung der beiden Länder nicht im Einklang mit der bisherigen Staatspraxis der Bundesländer. Denn auch das Erste Deutsche Fernsehprogramm sei 1953 von den ARD-Anstalten gegründet und ausgestrahlt worden, während die Länder erst 1959 ein Abkommen dazu vereinbart hätten. Außerdem veranstalteten mehrere Landesrundfunkanstalten seit einiger Zeit Dritte Fernsehprogramme, ohne dass dazu besondere Rechtsgrundlagen von den Ländern geschaffen worden seien.
Das ZDF veranstalte bereits das Satellitenprogramm 3-SAT ohne gesonderte Rechtsgrundlage, ohne dass die Länder dies beanstandet hätten.
Dass die Chancen privater Rundfunkanbieter durch das Programm beeinträchtigt würden, sei kein Argument. Ein gewisses Konkurrenzverhältnis diene der gewünschten Vielfalt und ein damit begründetes Verbot von EinsPlus beschneide die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in ihrem Grundrecht der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 GG.
Aufgrund dieser verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen konnte das Programm EinsPlus wie geplant am 29. März 1986 starten. Die ARD hatte sich durchgesetzt.
Durch den Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens regelten die Länder dann 1987 das duale Rundfunksystem in Deutschland. Dieser Vertrag wurde 1991 durch den Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland ersetzt, der in den folgenden Jahren mehrfach geändert wurde und die von ARD, ZDF und Deutschlandradio verbreiteten Programme im Einzelnen festlegt. Heute wäre ein Fall wie damals daher nicht mehr denkbar.
Zum Nachlesen: Die Urteile sind in der Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht 1986, Seite 208-212 und 295-299, veröffentlicht.
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11.9.2024