Mit § 31 des Medienstaatsvertrags (MStV) wurden Zuständigkeiten und Kompetenzen der Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten deutlich konkretisiert und gestärkt. Das ist zu begrüßen und entspricht ganz der Historie der Gremien seit Beginn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Alliierten waren der Auffassung, dass der Rundfunk im öffentlichen Interesse Aufgaben wahrzunehmen hat, die für die Allgemeinheit und die noch junge Demokratie von unverzichtbarer Bedeutung sind. Rundfunk sollte ein staatsfreies, unabhängiges und objektives Informations- und Kommunikationssystem sein, das von allen finanziert und transparent kontrolliert wird. Die Rundfunkanstalten sollten vom Volk durch unabhängige Vertreter aller Schichten, den sog. gesellschaftlich relevanten Kräften, überwacht werden. Dies war damals den deutschen Politikern nur schwer zu vermitteln, die sich einen staatsunabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht vorstellen konnten. Und diese Haltung blieb in den Köpfen der deutschen Medienpolitik, wie sich sehr schnell an den Veränderungen der Rundfunkgesetze in den 50er und 60er Jahren zeigte.
Erst das legendäre ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2014 sprach endlich ein klares Machtwort und erklärte die Zusammensetzungen von Fernseh- und Verwaltungsrat wegen zu großen Staatseinflusses für verfassungswidrig. Staatsnahe Vertreter dürfen seither in den Rundfunk- und Verwaltungsräten nur noch maximal ein Drittel der Sitze belegen.
Wie schon zuvor in den 90er Jahren hat das BVerfG erklärt, dass der Gesetzgeber sicherstellen muss, dass in einer binnenpluralen Rundfunkorganisation den Gremien als Sachwalter der Allgemeinheit ein effektiver Einfluss auf die Wahrnehmung des Rundfunkauftrags eingeräumt wird. Sie sollen darauf achten, dass die Vielfalt der Meinungen in den Programmangeboten zum Ausdruck kommt und einer einseitigen Einflussnahme auf das Gesamtprogramm entgegenwirken. Die Leitung der Geschäfte obliege nicht allein einer Intendantin oder einem Intendanten, sondern binde diese in eine gesetzlich näher konkretisierte Aufsicht durch plural zusammengesetzte Gremien ein. Sie sind damit einer ständigen Kontrolle unterworfen. Die Programmgestaltung im Einzelnen bleibe Sache der Intendanten, so das BVerfG.
Die weisungsfreien, unabhängigen Gremienmitglieder sollen also die Verbindung zwischen den Anliegen, Erwartungen und Ansichten der Gesellschaft, also den Bürgerinnen und Bürgern, und dem Programmbetrieb und seinen Inhalten sichern. Ihnen kommt daher eine sehr wichtige Aufgabe bei der Erfüllung des Rundfunkauftrags zu. Sie müssen ihre gesetzlichen Kompetenzen nutzen, zu denen u. a. auch die Entscheidungen über die Etats der Sender gehören, in denen festgelegt wird, wofür die zur Verfügung stehenden Finanzmittel verwandt werden. Nach § 31 MStV haben sie u. a. Richtlinien für die Programmangebote aufzustellen und die Intendanten in Programmfragen zu beraten.
Neu ist, dass die Richtlinien die Festsetzung inhaltlicher und formaler Qualitätsstandards sowie standardisierter Prozesse zu deren Überprüfung umfassen. Und auch im Wirtschafts- und Finanzbereich sollen die Gremien an der Erarbeitung von Maßstäben mitwirken, die die Einhaltung von Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Ressourceneffizienz gewährleisten.
Aufgrund der Vorkommnisse beim rbb haben Kritiker bezweifelt, dass die Gremien der Sender bislang ihren Aufgaben der Kontrolle und des Einflusses auf die Erfüllung des Rundfunkauftrags ausreichend nachkommen und dazu auch in Zukunft kaum in der Lage seien. Aktuell ist aber deutlich zu erkennen, dass die Gremien ihren Auftrag sehr ernst nehmen und ihre Kompetenzen nutzen wollen.
So ist z. B. aus dem Newsletter des WDR-Rundfunkrats vom 19.4.2024 zu entnehmen, dass das Gremium intensiv in die strategischen Prozesse aufgrund der Forderungen der KEF in ihrem 24. Bericht eingebunden werden will, besonders wenn es um die Schwerpunktsetzung im Programm geht.
Im jüngsten ARD-Gremiennewsletter der GVK vom 29.2.2024 werden die Aktivitäten für ein starkes Fortbildungsangebot der Gremienmitglieder erläutert, über die Compliance-Richtlinien der Gremien und über die Erarbeitung des Public-Corporate-Governance-Kodex informiert.
Inzwischen haben die Rundfunkräte der ARD auch umfangreiche, einheitliche Qualitätsrichtlinien verabschiedet, die nun angewandt und im Programmangebot mit Leben erfüllt werden müssen. Dazu hat Harald Freiling, der Vorsitzende des Rundfunkrats des hr, im Newsletter nähere Erläuterungen gegeben. Er setzt richtigerweise auf einen engen Austausch mit den Programmverantwortlichen und auch auf einen verstärkten Dialog mit dem Publikum. Die Beobachtungen und Erkenntnisse der Gremien müssten in den Programmen umgesetzt werden und in die Selbstverpflichtungserklärung der ARD eingehen.
Ich wünsche den Gremien der ARD viel Erfolg bei ihren bevorstehenden Aktivitäten im Interesse der umfassenden Erfüllung des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seines Public Value. Gerade in diesen Zeiten sind sie von so hoher Bedeutung, um unabhängig, verlässlich, vielfältig, vertrauensvoll und breit zu informieren. Die Entwicklungen und oft einseitigen Einflussnahmen durch die sog. sozialen Medien und die leider beginnende Erosion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa sind besorgniserregend für die Demokratie. Für diese sind unabhängige Medien wichtig und unverzichtbar.
Der von uns finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, der täglich nur 60 Cent kostet, sollte in unserer Gesellschaft als hoher Wert begriffen und unterstützt werden. Dazu könnte die Medienpolitik ihren Beitrag leisten, wenn sie diesen Wert und nicht primär die populistische Forderung nach „Beitragsstabilität“ in den Vordergrund stellen würde. Dann wäre – trotz der weiter erforderlichen Reformanstrengungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – auch der Vorschlag der KEF, den Rundfunkbeitrag um 58 Cent anzuheben, viel leichter in der Öffentlichkeit zu vermitteln und zu begründen.
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5.6.2024