"Wir sind längst raus aus dem Ankündigungsmodus"

Nicht selten wird die ARD für einen zu langsamen Reformprozess kritisiert, auch die jüngsten Beschlüsse der Intendanten/-innen seien nicht greifbar. Der ARD-Vorsitzende skizziert beispielhaft die Vision.

In meinem letzten Beitrag für diesen Newsletter habe ich vom Aufbruchsgeist innerhalb der ARD berichtet, von der Leidenschaft und dem Mut zur Veränderung, von Intendantinnen und Intendanten, die sich in die Hand versprochen haben, in herausfordernden Zeiten gemeinsam das größte Reformvorhaben des Senderverbunds anzupacken. Mittlerweile liegt ein halbes Jahr ARD-Vorsitz hinter mir. Sechs Monate, in denen nicht nur der SWR als mein Heimatsender, sondern auch die acht anderen Medienhäuser den Transformationsprozess aufs Gleis gesetzt haben. Wir sind unterwegs mit ordentlich Druck im Kessel und voller Kraft.

Im Medienecho der letzten Wochen war oft Ungeduld zu spüren, wann denn die von mir angekündigte "neue ARD" endlich schlüpfen möge. Meine Antwort: Wir sind längst raus aus dem Ankündigungsmodus. Wir machen! Und wir machen schnell. In nur wenigen Monaten haben wir so etwas wie die Föderalismusreform der ARD erarbeitet. Wir betreiben kein Reförmchen, sondern verändern uns tiefgreifend und sorgfältig, nachhaltig und kontinuierlich zu einer ARD, die regionaler, digitaler, kooperativer und wirtschaftlicher ist. Und ja, natürlich werden wir perspektivisch schlanker im Sinne von beweglicher, wendiger, moderner, weil die Menschen in Deutschland das von uns erwarten. Wir verändern uns, weil sich auch der Alltag der Menschen in Deutschland enorm verändert und damit auch ihr Umgang mit Medien. Deshalb haben wir uns vorgenommen, die Beitragszahlenden in der kommenden Beitragsperiode um 250 Millionen Euro durch unsere Reform zu entlasten.

Das tun wir vor allem, indem wir das "A" in "ARD" stärken – die Arbeitsgemeinschaft. Natürlich haben wir schon immer, seit Gründung der ARD, zusammengearbeitet. Bestes Beispiel ist die "tagesschau": Mit Beiträgen aus ganz Deutschland, aus allen Landesrundfunkanstalten, entsteht gemeinsam die erfolgreichste Nachrichtensendung der westlichen Welt. Auch auf technischer Ebene und in der Verwaltung sind wir bereits eng vernetzt: Im Bereich der IT und der Infrastruktur sind die Effekte enorm, sodass wir auch in der kommenden Beitragsperiode rund 277 Millionen Euro einsparen, die dann den Beitragszahlenden zugutekommen.

Neu ist die Intensität, mit der sich neun eigenständige Landesrundfunkanstalten nun auch für Programm-Inhalte vernetzen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Wir vertrauen uns gegenseitig Aufgaben an, um einerseits voneinander profitieren zu können und um uns andererseits zu entlasten. Das alles nach dem Prinzip der maximalen Kooperation. Das ist insofern eine Herausforderung, weil wir alle gemeinsam jahrzehntelang gewachsene Strukturen von neun unabhängigen Medienhäusern aufdröseln und neu miteinander verknüpfen. Wie das aussieht, möchte ich an einigen Beispielen zeigen.

Wir bündeln unsere journalistischen Expertisen zu multimedialen Kompetenzcentern. Für die ersten Kompetenzcenter, die 2024 an den Start gehen sollen, haben wir die Bereiche Verbraucher, Gesundheit und Klima festgezurrt. Konkret heißt das, dass künftig ein Team aus Fachleuten, Reporterinnen und Redakteuren Inhalte zu diesen Themenkomplexen für alle Ausspielwege, für alle Landesrundfunkanstalten produziert: Video fürs Fernsehen oder die Mediathek, Beiträge und Podcasts fürs Radio oder die Audiothek oder Posts für Social Media. Fest definierte Häuser beliefern somit die gesamte ARD mit diesen überregionalen Inhalten – und gegebenenfalls können die einzelnen Sender ihre Magazine noch mit weiteren, regionalspezifischen Recherchen anreichern. Müssen Waschmittel oder Solaranlagen unabhängig von mehreren Redaktionen getestet werden? Nein. Es ist deutlich sinnvoller, wenn das künftig nur ein Team macht, dafür aber mit der gebotenen umfassenden Recherchetiefe. So vermeiden wir Doppelarbeit, weil jeder nur noch das macht, was er am besten kann. Maximal drei Landesrundfunkanstalten werden ein Kompetenzcenter bilden und es partnerschaftlich koordinieren. Für die drei genannten Themenfelder bringen wir derzeit alles zur Detailreife, und auch die nächsten Prüfaufträge sind bereits erteilt, hier nehmen wir uns Künstliche Intelligenz, Reisen/Touristik und Ernährung/Kulinarik vor.

Außerdem haben wir eine Poollösung für den Hörfunk erarbeitet mit engem, gemeinsamen Programmaustausch, wo Teams aus verschiedenen Medienhäusern Inhalte für die gesamte ARD herstellen. Es wird sowohl im Radio als auch in den regionalen Fernsehprogrammen noch mehr gemeinsame Programmstrecken geben. Für die Kulturwellen bauen wir ein virtuelles "Kulturregal" aus, in das alle ihre Beiträge einstellen, die Hörspielredaktionen werden eng vernetzt und richten sich digital aus, mit Blick auf die ARD Audiothek. Und wenn wir schon beim Streaming sind: Mit den ZDF zusammen haben wir ein gemeinsames Streamingnetzwerk aufgesetzt, das die Inhalte von ARD und ZDF bündelt, sodass wir als gemeinsamer Streaminganbieter schon jetzt in Deutschland Platz Zwei hinter Netflix sind.

Das sind nur ein paar Schlaglichter darauf, woran wir in der ARD gerade arbeiten. Ich könnte an dieser Stelle noch über viele weitere Netze der Zusammenarbeit referieren. Ich betone immer wieder, dass es beim Reformprozess keine Tabus geben darf. Mit einer Ausnahme: die Regionalität. Die ARD bleibt ein regional verankertes Inhaltenetzwerk. Künftig wollen wir noch präsenter in den Regionen sein, nicht nur in den Städten, sondern in den Dörfern in der Südpfalz genauso wie in der Uckermarck. Die Menschen in Deutschland sollen sich und ihren Alltag bei uns wiederfinden. Wir wollen in unserem Programm noch mehr Meinungsvielfalt, noch mehr verschiedene Perspektiven auf die Welt einfangen und eine Wissensbasis aufbauen, damit sich jeder und jede eine eigene Meinung bilden kann.

12.7.2023