von Stefan Frerichs
Gewalt in den Medien trifft auf besonderes Interesse, weil die Medien reale und fiktive Gewalt in einem Ausmaß darstellen, wie es in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Diese konzentrierte Mediengewalt lässt befürchten, dass sie einen schlechten Einfluss auf die Einstellungen oder das Verhalten der Zuschauer/-innen oder Computernutzer/-innen haben könnte. Deshalb hat sich die Medienwirkungsforschung intensiv mit dem Thema Gewalt auseinandergesetzt - das Spektrum der Untersuchungen reicht von Nachrichtensendungen über Fernsehfilme bis zu Computerspielen.
Schädliche Auswirkungen durch Gewaltdarstellungen in den Medien befürchtet man vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Neben zunehmenden Konzentrationsstörungen und nachlassenden Schulleistungen wird vor allem ein aggressiveres Verhalten und eine höhere Gewaltbereitschaft erwartet. Infolgedessen wurden zahlreiche Theorien entwickelt und wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, um mögliche Wirkungsweisen zu erklären. Dabei wurde der Begriff "Gewalt" meist auf körperliche Gewalt beschränkt.
Allgemein kann man die Theorien der Gewaltwirkungsforschung in zwei sich widersprechende Hauptrichtungen aufspalten: Laut der einen führt Gewalt in den Medien zu weniger Gewalt der Nutzer/-innen, nach der anderen Richtung wird mehr Gewalt der Mediennutzer/-innen erwartet. Sogar innerhalb dieser beiden Erklärungsrichtungen gibt es jeweils widersprüchlich Ansätze. Wissenschaftliche Untersuchungen zu den Theorien konnten aber zumindest etwas Klarheit bringen. So wurden jene Theorien verworfen, die vermuteten, dass Mediengewalt die Aggressivität und Gewaltbereitschaft der Zuschauer/-innen oder Computernutzer/-innen verringert. In der Gewaltwirkungsforschung überwiegt die Ansicht, dass niemand durch den Konsum von Gewaltdarstellungen friedfertiger wird.
Weitgehend unstrittig ist auch, dass mediale Gewalt in der Lage ist, die Nutzer/-innen gefühlsmäßig zu erregen. Außerdem wurde beobachtet, dass sich die Zuschauer/-innen oder Computernutzer/-innen an Gewalt in den Medien gewöhnen, man kann daraus aber nicht auf eine Abstumpfung gegenüber realer Gewalt schließen. Allerdings werden aggressive Verhaltensmuster im Fernsehen oder in Computerspielen umso eher übernommen, wenn der Nutzer/-innen ohnehin zur Anwendung von Gewalt neigt und wenn seine wirkliche Lebenssituation dem Vorbild in den Medien ähnelt.
Die Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Mediengewalt und der persönlichen Veranlagung der Mediennutzer/-innen sind jedoch noch weitgehend ungeklärt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Menschen mit einer Neigung zu aggressivem Verhalten auch gern aggressive Filme oder Computerspiele konsumieren, die dann wiederum deren die Aggressivität steigern. Allerdings kommen wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die durch Gewaltkonsum gesteigerte Aggression schnell wieder abflacht und keinen dauerhaften Einfluss auf die Nutzer/-innen hat.
Ein hoher Konsum von gewalttätigen Fernsehsendungen und Computerspielen durch Kinder und Jugendliche kann nach Ansicht verschiedener Wissenschaftler/-innen auch ein Anzeichen für soziale Isolation oder Vernachlässigung sein. In einem solchen Fall wäre der Gewaltkonsum nur ein sichtbares Merkmal für tiefer liegende soziale Probleme. Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass das soziale Umfeld (wie Familie oder Freundeskreis) auf Menschen einen deutlich größeren Einfluss hat als die Medien. Dafür spricht auch, dass trotz der gestiegenen Verbreitung von gewalttätigen Filmen und Computerspielen in den letzten Jahrzehnten, die Gewalt bei Jugendlichen in dieser Zeit gesunken ist.
Eine Frau blickt ängstlich auf ein Fernsehgerät (Bild: colourbox.com)
Ist Gewalt in den Medien für die Nutzer/-innen eher ein Ventil zum Abbau von Aggressionen oder lädt sie die Nutzer/-innen eher aggressiv auf? Die Gewaltwirkungsforschung hat in den vergangenen Jahrzehnten diese beiden sich widersprechenden Hauptrichtungen verfolgt und zahlreiche Theorien entwickelt. Und auch innerhalb dieser beiden Erklärungsrichtungen gibt es widersprüchlich Ansätze. Doch haben sich diese Theorien, mit denen mögliche Wirkungen von Gewaltdarstellungen auf die Mediennutzer/-innen erklärt werden sollen, in der Praxis bewährt?
Eine Hauptrichtung der Gewaltwirkungsforschung hat diskutiert, ob Gewalt in den Medien auf die Zuschauer/-innen oder Computernutzer/-innen einen positiven Einfluss haben kann. Laut der Triebtheorie von Sigmund Freud entsteht im Menschen permanent aggressive Energie, die abreagiert werden muss. In diesem Zusammenhang soll Gewalt in den Medien bei Nutzern/-innen dazu führen, dass der Drang zu eigenen gewalttätigen Handlungen abgebaut wird. Die Medien schaffen den Rezipienten/-innen demnach durch stellvertretende Gewalterlebnisse ein Ventil, das eine psychische Reinigungsfunktion hat (Katharsis).
Auf Freuds Triebtheorie bezieht sich auch ein weiterer Ansatz, wonach durch die Beobachtung von Gewaltdarstellungen nicht Aggression abgebaut, sondern Angst ausgelöst wird. Durch diese Angst soll die eigene Aggressionsbereitschaft des Nutzers gehemmt werden (Inhibition). Sowohl die Kartharsistheorie als auch die Inhibitionstheorie konnten durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht bestätigt werden. Heute herrscht in der Gewaltwirkungsforschung die Meinung vor, dass niemand durch den Konsum von Gewalt in den Medien friedfertiger wird.
Eine andere Hauptrichtung der Gewaltwirkungsforschung geht davon aus, dass Mediengewalt auf die Nutzer/-innen einen negativen Einfluss hat. Demnach haben Gewaltdarstellungen keine Ventilfunktion, sondern steigern im Gegenteil die Aggressivität der Zuschauer/-innen oder Computernutzer/-innen und erhöhen dadurch deren Gewaltbereitschaft (Stimulation). Diese Stimulationstheorie konnte in wissenschaftlichen Untersuchungen zumindest teilweise bestätigt werden.
So ist inzwischen weitgehend unstrittig, dass Gewalt in den Medien in der Lage ist, die Nutzer/-innen gefühlsmäßig zu erregen. Außerdem wurde nach dem Konsum von Gewalt in den Medien ein aggressiveres Verhalten und eine höhere Gewaltbereitschaft festgestellt. Strittig ist aber, ob dies allein eine Folge der Gewaltdarstellungen ist oder die Folge einer allgemeinen Erregung. Es wurde nämlich auch beobachtet, dass nicht-gewalttätige Medieninhalte wie Erotikfilme oder Sportübertragungen Aggressionen auslösen können.
Eine weitere Theorie zum negativen Einfluss von Mediengewalt vermutet, dass man sich bei ständiger Konfrontation mit Gewalt im Fernsehen oder in Computerspielen allmählich daran gewöhnt (Habitualisierung). Ein längerfristiger Konsum von medialer Gewalt führe auch zu einer Abstumpfung gegenüber realer Gewalt. Dies könne sogar dazu führen, dass sich Persönlichkeitsstruktur und Moralauffassungen der Nutzer/-innen verändern, weil sie Gewalt als alltäglich wahrnehmen und als Mittel zur Konfliktlösung ansehen.
Die vorliegenden Untersuchungen lassen noch keine abschließende Bewertung dieser Habitualisierungstheorie zu. Es kann tatsächlich beobachtet werden, dass sich Nutzer/-innen an Gewalt in den Medien gewöhnen, daraus kann man aber nicht auf eine Abstumpfung gegenüber realer Gewalt schließen. Auch eine negative Veränderung der Persönlichkeit von Mediennutzern/-innen und eine grundsätzliche Gleichgültigkeit gegenüber Gewalt wurde nicht beobachtet.
In einer anderen Theorie zum negativen Einfluss von Gewalt in den Medien wird davon ausgegangen, dass Gewaltdarstellungen vor allem für Kinder Handlungsmuster bieten, die sie in vergleichbaren Situationen selbst zu Gewalttaten anregen (Lernen am Modell). Es wird zwar keine direkte Nachahmung der Mediengewalt erwartet, aber vermutet, dass beobachtetes Gewaltverhalten als Vorbild dient und dann auch in Wirklichkeit angewandt wird. Daneben wird angenommen, dass dafür besonders empfängliche Mediennutzer/-innen durch gewalttätige Medieninhalte zu einem ähnlichen, aggressiven Verhalten beeinflusst werden können (Suggestion).
Wissenschaftlichen Untersuchungen zur Theorie vom Lernen am Modell und zur Suggestionstheorie konnten diese teilweise bestätigen. So werden durch die Medien vermittelte aggressive Verhaltensmuster dann umso eher übernommen, wenn die Nutzer/-innen ohnehin zur Anwendung von Gewalt neigen und wenn ihre wirklichen Lebenssituationen dem medialen Vorbild ähneln (beispielsweise bei Rassenkonflikten). Außerdem gilt inzwischen als sicher, dass vor allem labile Menschen durch Medienereignisse seelisch beeinflusst werden können. So wurde beispielsweise beobachtet, dass nach Medienberichten über Selbstmorde die allgemeine Selbstmordrate steigt (der sogenannte "Werther-Effekt").
Der Begriff "Gewalt" wird meist mit absichtlicher körperlicher Gewalt gleichgesetzt - dies ist sogar in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Gewaltwirkungsforschung der Fall. Dabei könnte eine differenziertere Betrachtung dazu beitragen, die Ursachen von Gewalt und die Wirkungen von Gewaltdarstellungen in den Medien besser zu verstehen. Bei genauerer Betrachtung lassen sich unterschiedliche Formen von Gewalt in verschiedene Abstufungen einteilen.
Zunächst kann man zwischen struktureller Gewalt und persönlicher Gewalt unterscheiden. Unter struktureller Gewalt versteht man Gewalt, die durch den Aufbau und die Regeln eines Gesellschaftssystems entsteht. Sie ist im Gegensatz zur persönlicher Gewalt nicht mit den Sinnen wahrnehmbar, sondern kann nur durch den Verstand erschlossen werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich strukturelle Gewalt häufig aus gesellschaftlichen Normen und sozialen Traditionen entwickelt, die rational nicht fassbar sind. Beispiele sind die Ausgrenzung von Migranten/-innen oder die Benachteiligung von Frauen. Strukturelle Gewalt wird in der Gewaltwirkungsforschung bislang kaum berücksichtigt. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass sie kaum beobachtbar ist und ihre Auswirkungen somit auch nicht direkt zähl- oder messbar sind.
Dabei könnte strukturelle Gewalt möglicherweise eine Erklärung für persönliche Gewalt sein. Sie entsteht nicht in erster Linie aus gesellschaftlichen Ursachen, sondern geht von einzelnen Personen oder Gruppen aus. Persönliche Gewalt lässt sich wiederum in seelische Gewalt und körperliche Gewalt aufteilen. Beispiele für seelische Gewalt sind Anschreien, Beleidigung, Erpressung bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt. Neben solchen beobachtbaren Beispielen gibt es auch Formen seelischer Gewalt, die für Außenstehende nicht ohne weiteres wahrnehmbar sind. Dies sind verborgene zwischenmenschliche Verhaltensweisen wie Ausgrenzung, Liebesentzug oder Verleumdung. Hänseleien in der Schule oder Mobbing am Arbeitsplatz sind genauso seelische Gewalt, wie Verleumdungen in sozialen Netzwerken. Auch seelische Gewalt ist kaum zähl- oder messbar und wird in der Gewaltwirkungsforschung ebenfalls vernachlässigt.
Verglichen mit struktureller oder seelischer Gewalt ist körperliche Gewalt eine offensichtliche Form. Beispiele sind natürlich Schläge, Tritte oder der Einsatz von Waffen gegen Personen, aber auch körperliche Gewalt gegen Sachen. Von zentraler Bedeutung für die Beurteilung von körperlicher Gewalt ist der von ihr verursachte Schaden, wie Sachbeschädigungen, Verletzungen und Tötungen. Doch auch Handlungen, die keinen materiellen oder körperlichen Schaden anrichten, können zu körperlicher Gewalt zählen. Beispiele hierfür sind Freiheitsberaubung, Nötigung oder Mordversuch. Heckenschützen/-innen, die ihr Ziel verfehlen, sind genauso gewalttätig, wie Drängler/-innen auf der Autobahn.
Gewalt geschieht nicht zwangsläufig absichtlich. Auch Körperverletzung oder Tötung aus Fahrlässigkeit oder Unwissenheit beispielsweise bei einem Unfall ist ein Ausdruck von Gewalt. Eine Unterscheidung von ungewollten und beabsichtigten Handlungen lässt sich nicht durch den Begriff "Gewalt" erreichen, sondern über den Begriff "Aggression". Aggression ist eine Gewaltbereitschaft mit der Absicht zu schaden, wogegen einer unbeabsichtigt gewalttätigen Handlung keine Aggression zugrunde liegt. Die Suche nach den Motiven von Gewalttäter/-innen ist für die Gewaltwirkungsforschung von großer Bedeutung, jedoch werden die Ursachen von Aggressionen ebenfalls häufig nicht untersucht.
28.4.2023